Vorbemerkung des Autors: Die Studie des IW geistert durch den Blätterwald. Deutschland hat Wohnungsnot, nimmt der Leser mit. Dafür zunächst einmal „Dank“; denn wie auch durch die Mietbremse profitieren von der Knappheitsberichterstattung in den Medien vor allem die Vermieter in den Ballungsräumen, die am wenigsten betroffen sind. Dann lassen sich im intransparenten Vermietungsmarkt auch da höhere Mieten durchsetzen. „Der Immobilienbrief“-Herausgeber Werner Rohmert macht im Editorial (vgl. Editorial) kein Hehl daraus, dass die Studie sicherlich hohem wissenschaftlichen Niveau entspricht, dass aber die plakativen Schlüsse aus Pressenotiz und Medienberichterstattung ziemlicher Quatsch sind und an die Hype-Phasen der Wiedervereinigung erinnern, als Stadtplaner als „Seilschaften“ verunglimpft wurden, die mit ihren Baugenehmigungen den Bedarfs-Milchmädchenrechnungen nicht nachkamen. Der Autor deckte den Milchmädchen-Modus schon in Platowbriefen der Jahre 1990 bis 1994 auf. Das Ergebnis mit Leerständen von 30% und mehr ist Geschichte. Ende der 90er Jahre wies der Autor allerdings auch auf den wachsenden Wohnungsbedarf hin. Da stehen auch ein paar Grundzusammenhänge drin, die heute wieder vergessen sind: Wohnungsbedarf ist preisreagibel. Jeder mietet soviel, wie er sich leisten kann. Wer sich in Niedrigmietzeiten eingedeckt hat, hält das für „Bedarf“ und Menschenrecht. Das führt zu emotionalen Friktionen ebenso wie bei Umzugsnotwendigkeiten, Zuzugswünschen und bei bonitätsschwachen Randgruppen, wenn die Mieten dann zyklisch wieder steigen. Das erleben wir jetzt. Und wie wir vor 2 Wochen Erich Gluch mit über 30 Jahren ifo-Institut-Erfahrung zitierten: „In 5 Jahren spricht niemand mehr von Wohnungsnot.“
Zurück zum IW: Eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt, wo besonders viele Wohnungen fehlen. Bis 2020 müssen in Deutschland pro Jahr 341.700 neue Wohnungen entstehen, um den hohen Bedarf zu decken. Vor allem die Städte hinken stark hinterher Die Autoren Ralph Henger und Michael Voigtländer sehen in den deutschen Großstädten eine „riesige“ Nachfrage nach Wohnraum. Vielerorts seien die Mieten so hoch, dass sich manche das Stadtleben nicht mehr leisten können. In Berlin – nach „Der Immobilienbrief“-Recherchen übrigens eine der billigsten Metropolen der Welt, die nur jetzt teurer geworden ist (s.o.) – pochen Bürgerinitiativen sogar auf die Enteignung großer Immobilienunternehmen. Eine neue IW-Studie zeigt, wie groß der Bedarf tatsächlich ist: Zwischen 2016 bis 2018 wurden in den sieben größten Städten gerade einmal 71 Prozent der (rechnerisch) benötigten Wohnungen fertiggestellt. (Vermutlich liegen deshalb so viele Wohnungssuchende in den Hauseingängen herum und müssen morgens ungewaschen in die Uni.) Hamburg, Düsseldorf und Frankfurt am Main erreichten Quoten von über 78 Prozent, Stuttgart und München kommen dagegen nur auf 56 und 67 Prozent. Um den Bedarf zu decken, müssten bundesweit bis 2020 rund 341.700 Wohnungen pro Jahr gebaut werden, davon 62.800 in den sieben größten Städten.
Große Unterschiede zwischen Stadt und Land: Allein in Berlin müssen bis 2030 jährlich rund 21.000 neue Wohnungen errichtet werden – aktuell baut die Hauptstadt nicht einmal 17.000. (Armes Berlin: Bei knapp 3 600 000 Mio. Einwohner müssen jetzt rechnerisch über 6.000 mögliche Zuzügler jedes Jahr vor der Tür bleiben. Oder die machen die Mieten kaputt und prügeln die Einheimischen heraus. Oder die sorgen dafür, dass die Mieten wieder ein Niveau erreichen, in dem sich Neubau lohnen würde, der bei Mietendeckel und Enteignungsdrohungen aber nur von Irren oder vom Staat durchgeführt werden könnte.) Ganz anders sieht es lt. IW derweil auf dem Land aus: Während in den Ballungszentren ein „regelrechter Kampf um Wohnraum“ tobt, wird in vielen strukturschwachen Landkreisen und Städten zu viel gebaut. In 69 der 401 kreisfreien Städte und Landkreise wurden in den vergangenen zwei Jahren über 50 Prozent mehr Wohnungen gebaut, als tatsächlich benötigt werden. Das lässt sich beispielsweise im bayrischen Landkreis Rhön-Grabfeld beobachten: Hier wurden viermal so viele Wohnungen gebaut als nötig wären. Die Folge dieses übermäßigen Baubooms: Leerstand. (Da hat das IW auch für „Der Immobilienbrief“ Recht. An den richtigen Standorten wird zu wenig, an den schwachen Standorten zuviel gebaut. Lassen Sie uns das noch ergänzen: An den richtigen Standorten wird zudem noch falsch, nämlich für die echten Nachfrager, die auf dem freien Markt Schwierigkeiten haben, „unbezahlbarer“ Wohnraum, gebaut.)
Bauen gegen steigende Mieten: Wie viel die Großstädte bauen, hat einen direkten Einfluss auf die Mieten. (Das ist nun einmal echte Volkswirtschaft. Die Bauherren bauen, damit die Mieten fallen. Warum bauen die dann nicht bei hohen Mieten. Mögliche Antwort: Weil die auf dem Niveau von 1993 immer noch zu niedrig sind. Übrigens: Eine aktuelle Studie von Prof. Günter Vornholz ((vgl. „Der Platow Brief“ v. 12.7.19 und Handelsblatt v. 15.7.19) zeigt auf, dass bei Bau aller genehmigten Wohnungen auch in den A-Städten das Haushaltswachstum befriedigt werden würde.) Die Mietpreissteigerungen in Hamburg, Frankfurt am Main und Düsseldorf zum Beispiel fallen schwächer aus als die in Berlin, München oder Köln. Auch die Gemeinden aus dem Umland könnten so gegen die steigenden Mieten vorgehen – wenn sie denn ausreichend bauen würden. „Der Bau von Wohnungen ist das beste Mittel gegen steigende Mieten“, sagt Studienautor und Immobilienexperte Ralph Henger (Der Autor freut sich, ihn kennenzulernen.). „Gelingt es nicht, in den nächsten Jahren den Bedarf zu befriedigen, wird das Problem in den folgenden Jahren noch größer werden“, resümiert Henger. (Dieser Logik lässt sich folgen. Wenn wachsende Probleme nicht gelöst werden, wachsen sie weiter. Die Frage ist nur, ob wir wirklich solche Probleme haben oder ob der Markt nicht alternative Lösungen entwickelt.)
Fazit des „Der Immobilienbrief“: Der Blick in die Studie lohnt sich auf jeden Fall. Hier wird Zahlenwerk sauber aufbereitet. Es wäre weniger medienwirksam, aber vielleicht wissenschaftlicher, wenn im Presseauftritt für Publikumsmedien, die wissenschaftliche Aussage stärker herauskäme. Deutschland hat keine Wohnungsnot, sondern zyklische und regionale Verwerfungen, wie sie in Märkten, bei denen eine Seite nicht kurzfristig elastisch ist, wie eben in Immobilienmärkten mit regulierter Nachfragefunktion und langwieriger Anpassung der Angebotsfunktion durch betriebswirtschaftliche Rechennotwendigkeiten und lange Realisierungszeiten immer wieder auftreten. Wohnungsnot hatte das zerbombte Nachkriegsdeutschland und die demografisch expansive Phase des Wirtschaftswunders. Da wurden 63 qm Neubau für den 4-Personenhaushalt zum Arbeiterparadies. Heute prognostiziert das IW einen steigenden Flächenkonsum auf 50 qm pro Kopf. Das entspricht interessanterweise genau der Schätzung des Autors von vor 20 Jahren. Ob ein migrationsbedingter Leerstandsabbau auf gut 43 qm pro Kopf auf Wohnungsnot schließen lässt, hängt sicherlich von unterschiedlichen Lebenserfahrungen ab. Die werden wir möglicherweise in Zukunft neu sammeln müssen. Weniger geht auch.