Gastkommentar zum deutschen Arbeitsmarkt – Streiks, Exportüberschüsse und der deutsche Immobilienmarkt

 

Dr. Karsten Junius, Chefvolkswirt Bank J. Safra Sarasin, Zürich

Der Arbeitskampf ist zurück. Deutschland bewegt sich. Deutschland bewegt sich auf eine Art und Weise, die wir seit Jahren nicht mehr kennen. Und das ist kein Wunder, denn die Arbeitslosenquoten befinden sich auf dem niedrigsten Stand seit über 20 Jahren. Die Unternehmen verweisen auf Fachkräftemangel, das Exportgeschäft brummt. Klar, dass die Forderungen der Gewerkschaften ansteigen. Aber was hat das mit dem Immobilienmarkt zu tun? Sehr viel! Es reflektiert eine makroökonomische Situation und führt zu Anpassungsprozessen, die für den Immobilienmarkt weiterhin sehr positiv sind. Aber zunächst zum Arbeitsmarkt. Die Forderungen einzelner Gewerkschaften soll hier nicht kommentiert werden. Was aber leicht zu erkennen ist, ist dass das deutsche Lohnniveau insgesamt deutlich zu niedrig ist. Und dafür braucht man keine Schweizer Brille auf zu haben, noch soll damit die Lohnzurückhaltung des letzten Jahrzehnts kritisiert werden. Das Statistische Bundesamt hat jüngst erst veröffentlicht, dass die Arbeitskosten in der Privatwirtschaft in Deutschland mit 31,8 Euro lediglich knapp über dem Euroland-Durchschnitt von 29,2 Euro liegen. Aber so wie auch die Produktivität nicht in allen Ländern die gleiche ist, müssen die Löhne es auch nicht sein. Schliesslich weist Deutschland mit 4,7% die niedrigste Erwerbslosenquote in der EU auf. Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist eng und inzwischen auf Zuwanderung angewiesen. Das für Deutschland wesentlich wichtigere Ungleichgewicht liegt woanders – in der Leistungsbilanz. Die EU-Kommission prognostiziert, dass der Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands dieses Jahr bei 7,9% liegen wird. Ein persistenter Wert von über 6% ist eine Indikation für ein exzessives externes Ungleichgewicht. Die inländische Produktion ist deutlich höher als die inländische Nachfrage. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit kann das erwünscht sein. Die Auslandsnachfrage kuriert dann das Arbeitsmarktungleichgewicht. Ist letzteres aber nicht mehr vorhanden, dann bedeutet ein hoher Exportüberschuss lediglich, dass in Deutschland effektiv mehr gearbeitet wird als notwendig ist, um den aktuellen Konsumbedarf zu decken. Wir arbeiten also für andere und sparen, statt zu konsumieren. Bei einer flexiblen Währung würde in dieser Situation ein steigender Wechselkurs die Wettbewerbsfähigkeit reduzieren und die Importe erhöhen – ein auch in Deutschland akzeptierter Marktmechanismus. Bei wie in der Währungsunion festen Wechselkursen lässt sich das gleiche Resultat über den Lohnmechanismus erreichen. Deshalb wurde Ländern in der Währungsunion, die unter einer zu schwachen Wettbewerbsfähigkeit und Handelsbilanzdefiziten zu leiden hatten, in den letzten Jahren gerne verordnet, über Lohnzurückhaltung wettbewerbsfähiger zu werden und so die inländische Produktion und den inländischen Verbrauch wieder ins Gleichgewicht zurück zu bringen. Aber können auch zu hohe Leistungsbilanzüberschüsse unerwünscht sein? Sicherlich. Und zwar genau dann, wenn die daraus resultierenden Einnahmen und Ersparnisse nicht optimal genutzt werden können. Genau dies ist in Deutschland sehr wahrscheinlich. Wir investieren unsere Ersparnisse in Ländern, die ähnliche demographische Probleme haben wie wir. Die Vorstellung, dass deutsche Rentner zukünftig ihren Lebensabend in Saus und Braus verbringen können, weil die in der Euroland-Peripherie angelegten Exportüberschüsse reichlich Zinsen und Dividenden erbringen, ist mehr als optimistisch. Kaum vorstellbar ist, dass die meisten anderen Länder der Währungsunion ihren Konsum zurückschrauben und hohe Leistungsbilanzüberschüsse erwirtschaften, um ihre Auslandsschulden an Deutschland und die Niederlande zurückzuzahlen. Athen lässt grüßen. Mit anderen Worten ist es immer problematisch, der einzige in einer Familie zu sein, der spart. Früher oder später wird der Ruf nach Solidarität, Konvergenz, Kohäsion oder ähnlich positiv besetzten Umverteilungsforderungen kommen. Dann werden die positiven Nettoauslandsinvestitionen von Deutschland und den Niederlanden, die 42% und 47% des BIP betragen, verglichen mit negativen Werten von -115% in Portugal und -93% des BIP in Spanien.

 

Diese unvermeidbaren „Familienkonflikte“ und der Ersparnisverlust in Deutschland werden zu vermeiden sein, wenn die aktuellen Ungleichgewichte beseitigt werden und die inländische Nachfrage relativ zur Auslandsnachfrage ansteigt. Dazu bestehen mehrere Möglichkeiten: Die Fiskal-, Struktur- und Lohnpolitik. Beharrt man auf einem ausgeglichenen Haushalt und verweigert sich tiefgreifenden Strukturreformen, dann bleibt lediglich die Lohnpolitik. Höhere inländische Löhne führen natürlicherweise zu höheren Einkommen und Preisen und dadurch letztlich auch zu einem steigenden Miet- und Immobilienpreisniveau. Und was passiert, wenn die Löhne, der Konsum und die Importe in Deutschland nicht steigen? Nun, zum einen geht dann wohl die aktuell erhöhte Streiktätigkeit weiter. Und zum anderen wird der EZB nichts anderes übrig bleiben, als die Zinsen noch länger niedrig zu halten, bis in anderen Ländern der Währungsunion die Konsumnachfrage wieder ansteigt und die Euroland-Konjunktur belebt. Für den Immobilienmarkt wäre auch das Szenario positiv. Niedrige Zinsen haben ihm noch nie geschadet.