DIE MIPIM WIRD ZUR FINDUNGS- UND ARBEITSMESSE

Am Demarkationspunkt angekommen, die „Guten alten Zeiten“ kommen sobald nicht wieder

von Constanze Wrede

Nahezu symbolhaft präsentiert sich Cannes am Auftaktstag der diesjährigen Mipim 2023, Europas internationalster Immobilienmesse mit längster Tradition, sonnig aber sehr stürmisch. Wenig überraschend sind Zinsen und Preise Hauptgesprächsthemen. Hier bekommen wir wohl das erste „echte“ Stimmungsbild des Jahres. In stimmungsabhängigen Branchen können Messen Wendepunkte setzen. Auf der Expo Real 2022 im Oktober realisierte die Branche erstmals, dass die Delle lästig werden würde. Der „Der Immobilienbrief“ -Mathematik einer Niveautransformation mit 20 bis 30% Bewertungsrisiko, die sich einfach nur aus Grundlagen der Bewertungs- und Finanzmathematik ergab, folgte da noch kaum jemand. Es verblüfft, dass sich auch heute noch die Bewerter auf mangelnde vergleichbare Deals zurückziehen – und NICHTS machen. Der Pause zum Jahreswechsel nach dem Einbruch des Q4 in fast allen Kategorien folgte die weihnachtliche Denkpause. Nach ersten, meist nicht zitierbaren Backgroundgesprächen zu Hause und in Cannes, gewinnen wir den Eindruck, dass wir von einigen ernstzunehmenden Marktteilnehmern in der Einschätzung der Zukunft jetzt noch rechts überholt werden. Von Abwertungspotentialen zwischen 6% wie jüngst für das 2.HJ 22 bei der LEG (vgl. S. XX)  bis zu 40% „off record“ scheint derzeit alles möglich. LTV’s von 50% mit Bewertungsnachschusspflicht machen die Bankenrunde, ansonsten herrsche Neufinanzierungs-Totentanz. Am Dienstag zeichnete Thomas Olek, Publity-AR im Frankfurter Wirtschaftsclub ein unterhaltsam apokalyptisches Bild für die Branche, das sicherlich überpointiert, aber durchaus logisch auf eine lange Flaute einstimmt. Die Mipim könnte jetzt einen weiteren Wendepunkt in die auf Euphorie-Phasen immer folgende Depressions- und Neufindungs-Phase einläuten.

Die Findungsphase fing für einige Teilnehmer im Vorfeld schon vor den Anreise an den Flughäfen an. Aufgrund des fast schon traditionellen „Verdi-Warnstreiks vor der Mipim“ wurden die Berliner, Hamburger, Bremer und Hannoveraner teils auf den Vortag umgebucht und kamen so deutlich eher als geplant an der Cote d’Azur an. Die anderen hatten das inzwischen traditionelle Anreise-Nachsehen ewiger Verspätungen oder alternativer Bahnreisen.

Die Mipim zog vom 14. bis 17. März mehr als 23.000 Teilnehmer aus 90 Ländern an. Rund rd. 6.000 Investoren sollen sich laut Messeveranstalters RX dieses Jahr an der Croisette getummelt haben. Das seien ca. 15% mehr als bei der ersten echten Nach-Corona-Mipim 2021. Damals zählte der Ukraine-Krieg gerade erst 3 Wochen. Russland war ausgeladen. Der Ukraine-Stand wurde als Ausdruck der Solidarität hoch frequentiert. Welche volkswirtschaftliche Konsequenzen noch folgen sollten, das ahnten wohl die wenigsten. „Irgendwie stand der weiße Elefant da schon im Raum“, so Catella Chef-Researcher Prof. Dr. Thomas Beyerle. „doch die Schnelligkeit und Wucht, mit der er dann das gesamte volkswirtschaftliche Porzellan zerdepperte, war wenig antizipierbar“. Im Vergleich zur letzten krisenfreien Mipim 2019 schrumpfte die Anzahl der Teilnehmer um 12%. Die Anzahl der Aussteller ging sogar um deutliche 40% auf aktuell 2.400 Aussteller zurück. Die freien Flächen kaschierte die Messe geschickt durch großflächige Meeting-Points und Networking-Bereiche. Auch der neue „Road to Zero“-Bereich, wo über 50 innovative Wege zum „Netto-Null“ aufzeigt wurden, hatte so genug Platz.

 

Trotz regen Messe-Treibens und guter Frequenz an den deutschen Stadtständen Frankfurt, München, Hamburg, Berlin, Stuttgart, Hannover, Düsseldorf und Köln blieb die Goldgräber- und Partystimmung der Boom-Jahre wie erwartbar aus. Der „Safe Haven Deutschland“, der vermietungssicher, rechtssicher, preisstabil und exitsicher die internationalen Investoren anlockte, steht zur Disposition. Mit jedem Bewertungsaufstieg wurde die Klippe, an der wir jetzt stehen, höher.  „Und bei Euch so?“ dürfte dementsprechend die Eingangsfrage vieler Gespräche gewesen sein. Es wurde sich ausgetauscht, genetworked und versucht, das Geschäft am Laufen zu halten oder zu retten, was noch zu retten ist.

ESG war Thema des Tages. Die am Dienstag im EU-Parlament beschlossene Gebäudeenergieeffizienzrichtlinie beinhalte die Gefahr der Überforderung. Im stillen Background gab es wenig Gegenrede zur „Der Immobilienbrief“-These eines weiteren Schrittes in energetischen Illusionismus. Die Kosten, die die energetischen Sanierungen mit sich bringen werden, die im Kontext steigender Zinsen, steigendem Baukosten bei gleichzeitig steigendem Personalmangel bei immer weitergehenden Anforderungen an den Neubau passen nicht mehr zusammen. Wie BIMA-Chef Christoph Krupp bei Platow schon letztes Jahr deutlich machte, führen zu hohe Regulierungsanforderungen zu immer geringerer Beachtung. Auch heute scheint Fatalismus einzuziehen. Alle wissen, dass es auf der „Road to Zero“ noch sehr viel zu tun gibt. Allerdings scheinen die Überlegungen in der aktuellen Gemengelage kollektiv vertagt worden zu sein. Jetzt gelte es zunächst, die Kalkulationen an das neue Zinsniveau und die neuen Bewertungen anzupassen und die Geschäftsmodelle zu retten, so die Branche.

Deals finden zur Zeit fast keine statt, hörten wir in Background-Gesprächen. Die Preisfindungsphase halte an und dürfte auch noch eine Weile andauern. Mindestens 2 Zinsschritte erwartet Thorsten Schönenberger, Mitglied des Vorstands der LBBW noch für dieses Jahr. Langfristig werde sich ein Zinsniveau von 3,75 bis 4% einspielen. Die Zinsen sind also gekommen um zu bleiben. Das dürfte viele Kalkulationen aus der „Null-Zins“ Ära ad absurdum führen. Die Pleiten der Silicon Valley Bank (SVB) und der Signature Bank waren zwar Thema, wurden jedoch nicht dramatisch gesehen. Sie zeigen aber andererseits die Gefahren des abrupten Zinswechsels auf bestehende Geschäftsmodelle auf.

Und es gibt auch Gutes zu berichten, wie Prof. Reinhard Walter Geschäftsführender Gesellschafter FOM Real Estate und FOM Invest auf einem Medien-Lunch zu berichten wusste. Pünktlich zum Start der Mipim beteiligte sich die Volksbank eG Braunschweig Wolfsburg (BraWo)  sich zu 50% an FOM Invest und wird so strategischer Partner beim Ausbau der Fondsprodukte. Schwerpunkte der Zusammenarbeit seien die ESG-konforme Transformation von Bestandsobjekten und die ESG-konforme Entwicklung von Neubauten, berichtete die Gesellschaft beim traditionellen Mittwochs-Mittagessen der Journalisten.

Kleines Zitate-Potpourri zur Mipim

Unser kleines Zitate-Potpourri zur Mipim gibt die aktuelle Bandbreite der Meinungen wieder.

Marcus Lemli, Savills CEO Germany, sieht wie übrigens auch „Der Immobilienbrief“ seit der Zinswende vorrechnete, einen Paradigmenwechsel statt einer Zykluswende. Für die Immobilieninvestmentmärkte breche eine neue Zeitrechnung an.

Ulrich Höller, Chef des Gewerbeimmobilienentwicklers ABG, sieht positive Signale. „Dennoch bewegen wir uns langsam, aber sicher auf eine Trendwende zu.“ Die wünschte „Der Immobilienbrief“ sich allerdings auch, wenn wir die Projektentwicklungsherausforderungen der ABG zu meistern hätten.

Klaus Franken, GF der Catella Projektmanagement, meint, wenn selbst Dreißigjährige den „guten, alten Zeiten“ nachtrauerten, wisse man, dass in der erfolgsverwöhnten Branche etwas falsch laufe. Das „Gift des billigen Geldes“ habe lange den Blick auf die immobilienwirtschaftlichen und finanzmathematischen Realitäten verstellt. Nach der sinnvollen Konsolidierung seien jetzt Vollbeschäftigung, Mietsicherheit, steigende Nutzernachfrage, gute Kaufkraft und steigende Einkommen eine stabile Basis für eine Aufbruchstimmung in eine neue Realität. Allerdings sei bei einer Reihe Marktteilnehmer nicht klar, wie sie die aktuellen Herausforderungen meistern könnten.

„Prolongation“ und „Bridge-Finanzierung“ seien auch die Schlagworte im aktuellen Tagesgeschäft der Banken, wusste Francesco Fedele, Gründer und CEO der BF.direkt AG auf der Mipim Vorabendveranstaltung von RÜCKERCONSULT zu berichten. Es gelte auch für die Banken, die Krise gemeinsam mit den Unternehmen durchzustehen und einen langen Atem zu bewahren, so Schönberger von der LBBW.

Ähnlich pragmatische schätzt Jochen Schenk, ZIA-Vizepräsident und CEO der Real I.S. die Situation ein. In früheren Zeiten habe es auch schon mal Zinsen gegeben. Insofern sei die Normalisierung der Zinslandschaft eine Normalisierung der Branche. Die Herausforderung jedoch seien die Geschwindigkeit, allseitige Ungeduld und prozyklisches Handeln bestimmter Akteure. Und Anpassungsprozesse, die zu schnell erfolgen, brächten oft Übertreibungen. Die Bandbreite in der Branche sei enorm. Entgegen aller Erwartung habe er hohes Interesse von Anlegern an neuen Spezialitäten oder Opportunitäten gesehen aber auch Sorgenfalten hinsichtlich der Herausforderungen. Offen z. B. wie „E“ in Verbindung mit „S“ bei Wohnen sinnvoll und bezahlbar zu lösen sei. Bei Wohnen wies Aygül Özkan, stellv. ZIA-Geschäftsführerin, insbesondere auf den Mangel hin. Schon bis 2025 sieht der ZIA eine Wohnungsunterdeckung für 1,4 Mio. Menschen. Bundesbauministerin Geywitz könne das Problem nicht alleine lösen, da müsse die ganze Regierung ressortübergreifend aktiv werden, um den drohenden Notstand zu bekämpfen.

Von vielen Projektentwicklern naht derzeit vermutlich wenig Hilfe. Prof. Dr. Michael Becken, Geschäftsführer BECKEN Invest GmbH, fasst zusammen: Weniger die gestiegenen Zinsen in dem kurzen Prozess der Projektentwicklung noch die gestiegenen Baukosten seien das vorherrschende Problem, vielmehr seien es die derzeit unbekannten Exit-Faktoren, die Kalkulationen erschweren. Soll man derzeit ins Blaue bauen ohne zu wissen, ob das Projekt zu den gewünschten Multiplikatoren gewinnbringend verkaufen kann?

Zur Beruhigung haben wir in Cannes aber gesehen du am eigenen Leib erfahren, dass „immer gebaut wird“. “Die gesamte Croisette präsentierte sich als Großbaustelle, die die Fortbewegung und das Überqueren der Straße gestaltete sich teilweise als schwierig und dürfte bei einigen zu Verspätungen und Staub auf den blauen Anzügen oder auf den Pumps geführt haben. An Exitfaktoren dürfte die Stadt Cannes bei dieser Projektentwicklung wohl nicht gedacht haben. Allerdings dürften die meisten der Baustellen noch in der Nullzinsphase in die Wege geleitet worden sein. Andererseits wird nach alter „Der Immobilienbrief“-Weisheit jede Immobilie, die wirklich gebraucht wird du sich daher rechnet, zu jedem Zinssatz gebaut. Das gibt etwas Hoffnung.

Weiter steigende Zinsen setzen auch die Preise weiter unter Druck. Es scheint als befänden wir uns im Sinkflug aus Sicht. Michael Denk, GF Quadoro Investment kommentierte: „Letztes Jahr war nur das Wetter in Cannes stürmisch, jetzt bahnt sich ein Unwetter über dem Markt an“. „Vielleicht wäre es besser, es würde richtig knallen, dann wüssten wir wenigstens wo die aktuelle Reise endet und wir könnten mit dem Wiederaufbau beginnen“ griffen wir im Vorbeigehen auf.

Von Abwertunspotenzialeinschätzungen zwischen 2% wie die Hamborner REIT in der aktuellen Bilanz vorgenommen hat bis zu 40% „off record“ scheint derzeit alles möglich. Mit einer Wiederbelebung des Marktes in diesem Jahr rechnen nur noch die Wenigsten. Bei Logistik könnte es lt. Garbe Geschäftsführer Jan Philipp Daun noch im Laufe des Jahres 2023 klappen. Logistik dürfte auch nach Einschätzung von Sönke Ezell, Head of Investment P3 Logistic Parks Germany, das Segment sein, dass am besten durch die kommende Zeit komme. Gestützt von den Fundamentaldaten träfe hier immer noch eine hohe Nachfrage auf knappes Angebot.

Thomas Beyerle ordnete die Mipim 2023 als „Die stillste MIPIM aller Zeiten“ ein. Gemeint sei dabei nicht etwa die „Transaktionsmüdigkeit dieser Tage“, sondern die eher gedämpften Gespräche, sachlich, nüchtern-rational und auf den Punkt kommend. Beide Seiten am Tisch wüssten ja, um was es geht: Die neue Preisbildung. Das fiele umso mehr auf, da die „lauten“ Elemente der letzte 10 Jahre weitgehend verschwunden seien. Party Boote in der Bucht, obszön feiernde Immobilienvertreter und ausuferndes Selbstdarstellungsgehabe sei vorbei. Es sei schon interessant, was so eine Zinsänderung, der geschärfte Blick auf die Kostenseite und der „manage to green“-Anspruch so alles bewirken könne. Das gefällt Beyerle, wenngleich das „fallende Messer“ noch immer das am stärksten strapazierte Bild dieser Tage sei.