Sondereditorial zu Vonovia

Sondereditorial zu Vonovia

Sehr geehrte Damen und Herren,

es geht in diesem Editorial ausschließlich um Vonovia. Die Bewertungs-Eckdaten, die Sie bisher wahrscheinlich aufgrund der Kommunikationsstrategie noch nirgendwo gelesen haben, haben wir recherchiert. Wir konzentrieren uns auf die Immobilienbewertung und nicht auf die Aktienbewertung.  Um sich nicht in 2 oder 3 Jahren nach Fortlauf der Bewertungsmühlen wundern zu müssen,  lohnt sich ein Blick auf das aktuell veröffentlichte Zahlenwerk. Jede Story braucht einen „Deppen“. Diesmal bin ich das wohl. Ich befürchte, dass auch eine Reihe von Kollegen, die eigentlich – anders als ich – dafür bezahlt werden, sich börsennotierte Unternehmen genau anzuschauen, auch überrascht sein werden. Meine Überlegungen, Recherchen und Backgroundgespräche sowie das Zusammenkommen vieler Zufälle machen mich sehr unsicher. Als „Immobilienmann“ bin ich wohl auch traurig. Ich weiche heute daher von einem normalen Editorial ab. Wir werden diesmal KEINEN Spaß haben!

Ehrlich gesagt, das heutige Editorial entstand, weil ich, wie im letzten Editorial VOR der Vonovia-Geschäftszahlen-Präsentation angekündigt, den Blick in die GuV-Eckdaten warf und daraufhin einen schlechten Tag hatte. Ich befürchtete, mich für meine bildliche Bewertungskritik zur vermuteten fast 28-fachen Jahresmiete entschuldigen zu müssen. (Nr. 547: „… bei Vonovia das Bewertungs-Pferd wohl geritten wurde, bis es tot umfiel und nun auf dem Vorstand liegt, …“) Der versprochene Blick in die neue GuV 2022 wies mit „Umsatzerlöse aus der Vermietung“ von rd. 4,73 Mrd. Euro eine völlig vernünftige Relation zum „Verkehrswert des Portfolios (von) … 94,7 Mrd. €“ aus. Als Irrtumsquelle im Vergleich zur Vorjahres GuV war sofort die unterjährige Mietzurechnung aus der Deutsche Wohnen Übernahme bei stichtagsbezogener Jahresendbewertung evident. Demgegenüber stand die Frage, die sich aber dann durch intensives Unterlagenstudium erledigte, was wohl alles in den Umsatzerlösen enthalten sei. Gleichzeitig war ich der Meinung, dass meine Gesprächspartner und ich sich nicht so geirrt haben könnten. Mein Team startete mit der Recherche. Unser Ergebnis führt zu meiner Störgefühl-Erkenntnis: „Es ist sicher alles formal korrekt, aber …“ Die Börse scheint meine Einschätzung zu stützen.

Vorab sei aber noch einmal daran erinnert, dass wie von mir und inzwischen von allen Medien berichtet, Vonovia als Europas größte Wohnungsgesellschaft ein operativ sehr gutes Jahr hatte. Vonovia ist im fundamental prosperierenden Wohnungsvermietungsmarkt tätig, operativ hervorragend gemanagt, fristenkongruent finanziert und liquiditätsmäßig gut aufgestellt. Vonovia ist auch Vorreiter in energetischer Sanierung. Ich stellte schon zum Jahresbeginn mit Blick auf den Immobilienaktienmarkt und Vonovia fest, dass der extensive Glaube an ein Geschäftsmodell in der Zeitenwende leicht zur Falle werden könne. Dass es dabei jemanden treffen könnte, der die deutsche Wohnungswirtschaft an ein neues Niveau heranführte, neue Maßstäbe der Professionalisierung setzte und glaubwürdig den Ansatz realisieren wollte, durch die Kapitalmarktmöglichkeiten mit einer riesigen ESG-ausgerichteten Sanierungswalze der Gesellschaft etwas zurückzugeben, schien und scheint mir die Tragik der Story.

Zu meinen Gedanken:

1) Ich habe das „Abakus-Gefühl“ aus Überschlagsrechnung, zyklenübergreifender Erfahrung und Aktienkursentwicklung, dass der Bilanzwert der Vonovia-Wohnungen per 31.12.2022 um m. E. mindestens zehntausend Millionen Euro, wahrscheinlicher zwanzigtausend Millionen Euro oder vielleicht auch dreißigtausend Millionen Euro über einem sich aus der (heutigen) Zinssituation in den kommenden Jahren herauskristallisierenden „Fair Value“ (Marktwert) liegen könnte. Dann werden auch den Bewertern die notwendigen Anhaltspunkte vorliegen (Begründung unten). Formal ist es aber aus deutscher Bilanzsicht absolut korrekt, dass aus Bewertungssicht kein Handlungsbedarf besteht, solange keine belastbaren Vergleichsdaten aus Deals vorliegen. Prinzip Hoffnung auf Markterholung und sinkende Zinsen ist auch eine formal korrekte unternehmerische Haltung. Das deutsche Bilanzrecht kannte zudem auch früher in HGB-Zeiten ein Auseinanderfallen von Markterwartungen und Bilanzdaten. Allerdings herrschte da meist das Prinzip Vorsicht. Dass die Größenordnung möglicher zukünftiger Entwicklungen nicht aus der Welt ist, zeigt schließlich auch die Verdampfung der Vonovia-Marktkapitalisierung in Höhe von rd. achtundvierzigtausend Millionen Euro bzw. um über 70% in den letzten rund 18 Monaten. Ist vielleicht die Börse aktueller als die Bewerter? Bei jetzt (Mittwoch Mittag) ca. 13,1 Mrd. Euro Marktkapitalisierung und einem gegenüber Vortag leicht erholtem Kurs von 16,48 Euro verweist Vonovia aber auf einen Nettovermögenswert nach Schulden von 46 Mrd. Euro. Das seien ca. 6% unter Jahresende 2021. Zum Bilanzstichtag dürfte bei gut 22 Euro Kurs die Marktkapitalisierung überschlagsweise bei 17,5 Mrd. Euro gelegen haben. Dagegen bestätigt Vonovia selbstbewusst für die deutschen Journalisten; „Immobilienwert – Über des Gesamtjahr 2022 nur leicht gesunken – Wertzuwachs im 1. Halbjahr wird im 2. Halbjahr aufgehoben“. Die Bestandswertveränderung betrug +0,5% bei einem Wertrückgang im 2. Halbjahr von -3,9%. Bei plangemäßem und erfolgreichem operativem Geschäft kann der Kurs, der inzwischen unter IPO-Kurs von 2013 liegt, eigentlich nur mit einer abweichenden Einschätzung der Vermögenslage durch die Börse zu erklären sein. Allerdings haben fast alle Immobilien AG’s ziemlich viel Marktkapitalisierung verknallt.

2) Ich habe weiter das Gefühl, dass die – übrigens sehr erfolgreiche – Kommunikationsstrategie von Vonovia möglicherweise in Kauf genommen haben könnte, deutsche Journalisten nicht direkt auf einfache Bewertungs-Eckwerte wie Mietmultiplikator oder Mietrendite zu stoßen (Begründung unten). So ist die sehr aussagefähige Bewertungstabelle (siehe Tabelle „Valuation …“)  der englischen Analysten-Präsentation vom 16.3.2023 (siehe Vonovia-Homepage) in dem deutschen Parallel-Chart zum „Immobilienwert“ (Deutsche Präsentation vom 17.3.2023, Folie 16, siehe Vonovia-Homepage) für die deutschen Journalisten auch der Wirtschaftspresse NICHT enthalten. Bei meiner mehrfach erwähnten Suche nach aussagefähigen Zahlen zur Mietrendite bzw. dem Mietmultiplikator (vgl. letztes Editorial Nr. 547) fühle ich mich unzureichend informiert. Offen ist die Frage, wie sich die Kollegen informiert fühlen, die sich in ihrer notwendigerweise schnellen Berichterstattung an die vorliegende Präsentation halten mussten. Es wird übrigens noch spannender (siehe unten). Der Geschäftszahlenpräsentation folgte dementsprechend auch eine 1-tägige Kurserholung. Seither ging es bis Dienstag bergab. Machen sich die Profis vom Acker, während sich die Kleinanleger noch mit den gegoogelten Presseberichten auf Basis der deutschen Präsentation zufrieden geben müssen?

3) Ich habe den Eindruck, dass erneut Diskussionen über Bewertungsmethoden, -aufgaben und -motivationen aufkommen könnten. Meine Frage des letzten Editorials nach den „echten“ Immobilienbewertern ist beantwortet. „Der bilanzierte Marktwert von Vonovia wird durch unabhängige, externe Gutachter bestätigt (CBRE, JLL, Savills).“ (Zitat deutsche Präsentation vom 17.3.2023, Folie 16, siehe Vonovia-Homepage).

Die weltweite Elite der Bewerter CBRE, JLL, Savills bestätigt damit, dass das deutsche Vonovia-Portfolio mit der 29,2-fachen Ist-Jahresmiete, das schwedische Portfolio mit der 20,1-fachen Jahresmiete und das österreichische Portfolio mit der 25,8-fachen Ist-Jahresmiete zum 31.12.2022 korrekt bewertet ist (vgl. s.o. Chart aus Folie 18 der englischen Präsentation vom 16.3.2023 und Geschäftsbericht Seite 84). Zur Historie des Portfolios habe ich in meinem Archiv nachgeschaut (siehe unten) und dabei eine Morgan Stanley Zusammenstellung der Portfolio-Preise bei damals fast vergleichbarer Zinssituation ohne aber die aktuellen Kostendrohungen gefunden. Inwieweit die Bewertungen mit den Markterfahrungen des Jahreswechsels unter dem Eindruck der Finanzmathematik des geänderten Zinsumfeldes, der geänderten geopolitischen Rahmenbedingungen und der damals diskutierten Deals korrespondiert, sollen die Fachleute unter sich ausmachen. Meine Mathematik mit einer wahrscheinlich notwendigen Marktkorrektur um durchschnittlich 25% bzw. zwischen 20% bis 30% (siehe Fragen der Immobilien Zeitung an mich in der Expo Real Berichterstattung), meine Background-Gespräche, meine Berichterstattung in den Medien zeigten bereits im Herbst 2022 andere persönliche Markteinschätzungen, denen aber nur Überlegungen und Recherchen, jedoch keine belastbare Anzahl von Deals gegenüberstanden.

4) Ich befürchte zudem, dass der Fortgang der Bewertungsmühlen auch Auswirkungen auf die Branche, auf die internationale Akzeptanz von Deutschlands Vorstellungen von IFRS-Bewertungen ebenso haben kann wie auf die internationale Annahme eines „Safe Haven“ bei Wohnen in Deutschland. Das wird vielleicht auch über den Wohnungsbereich hinaus konkrete Auswirkungen auf Ihr Geschäftsmodell, Ihre Exits und Ihr Verhältnis zu Banken haben können. Die Ausgangssituation heute ist aber für jedes Management tragisch. Deshalb sollte bei Schuldzuweisungen Zurückhaltung geübt werden.

5) Ich bin mir thematisch sehr unsicher, ob sich beim Weiterdrehen der Bewertungsmühlen Auswirkungen auf Anleihebedingungen, LTV’s oder sonstige Kredit-Covenants ergeben könnten.

Warum ist das überhaupt eine Story?

Jetzt liegen belastbare Zahlen vor. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob wir uns über Bewertungen in einem sich dramatisch schnell wandelnden Umfeld aus Inflation, Zinsen und Krieg mehr oder minder schmunzelnd kabbeln, den Niederschlag der in 5000 Jahren Zinsgeschichte nie dagewesenen Zins-Sondersituation der letzten 15 Jahre in Immobilienbewertungen als irreal betrachten, vielleicht neidisch auf die Leute schauen, die dieses Generationengeschenk auch für eine private Vermögensbildung, für die vorherige Generationen ein Leben lang schuften mussten, perfekt nutzten, oder ob wir uns über Bilanzzahlen und -bewertungen unterhalten.

Immobilienbewertungen lassen sich an keinem Kurszettel ablesen. Die Währung hier ist „Vertrauen“. Die Bilanz bzw. der Jahresabschluss gibt ein möglichst realistisches Bild über die Vermögenssituation zum Bilanzstichtag. Während Aktienkurse sich am Markt bilden und damit darin enthaltene Bewertungen schulterzuckend abgetan werden können, ist das bei einer Bilanz nicht möglich. Der Jahresabschluss bzw. darin enthaltene Bewertungen und Abbildungen von Zahlungsströmen sind die Basis für eine Vielzahl von Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Gläubigern. Alle Ersteller, Bewerter, Prüfer und Stakeholder gehen dabei von einer hohen Realitätsnähe der Vermögensdarstellung aus.

Präambel: Ich möchte dabei noch einige Dinge insbesondere mit Blick auf Vonovia vorab besonders betonen. „Der Immobilienbrief“ bzw. ich sehen unsere Aufgabe nicht in Aktienanalysen oder irgendwelchen Schutzfunktionen. Wir möchten über den Markt oder auch über Unternehmen informieren. Wir möchten, dass Sie und wir dabei Spaß haben. Und manchmal ärgern wir uns. Dann berichten wir auch – meist schmunzelnd. Wenn ein Publizist etwas über einen Markt erfahren will, dann schaut er sich am besten den Marktführer an. Marktführer ist bei Wohnen in Europa Vonovia. Hinzu kommt, dass ich selten so viel Vertrauen in ein Unternehmen und sein Management hatte, wie bei Vonovia. Ich halte das Unternehmen für eines der am besten gemanagten Wohnungsunternehmen. Alles, was ich aus persönlichen Gesprächen mitnehmen konnte, war logisch. Ich habe lediglich im Laufe der letzten Dekade meine Fragen zum Wohnungsgeschäftsmodell generell, zur Zinsabhängigkeit und zur Managementproblematik offengelegt. („Was hat sich seit der letzten Verkaufswelle im PE-Erwerbshype mangels Rechenbarkeit nach der Jahrtausendwende geändert? Die Zinsen!“) Ich habe bei zwei AWARD-Verleihungen mit voller Überzeugung den Jury-Meinungsfindungsprozess organisatorisch begleitet und die Laudatio gehalten. Ich halte Vonovia für ein hoch seriöses Unternehmen.

Störgefühle bei der Vonovia-Kommunikation

Mich interessierte, wie ich mehrfach deutlich machte, lediglich die Relation von Nettomieteinnahmen zu Bewertung des Portfolios bzw. Aussagen zu Mietrendite oder Multiplikatoren. Anders als zuvor bei der LEG, die eine Mietrendite in der Berichterstattung angab, gab die deutsche Pressenotiz der Vonovia dazu nichts her. Es fehlte für mich bei der Beschreibung der sicherlich positiven Entwicklungen zu qm-Mieten oder Mietentwicklungen immer eine Variable.

Die vorgetragene deutsche Präsentation gab mir dazu gleichfalls keine Auskunft. In der Fragerunde nach der Präsentation verwies Vorstandsvorsitzender Rolf Buch darauf, dass der Aktienkurs nun einmal auf Veränderungen der Zinsschraube reagiere. Deshalb habe der Vorstand beraten, das Unternehmen nicht nach dem Aktienkurs zu fahren, sondern der Verantwortung gegenüber den Stakeholdern gerecht zu werden. Interessant wurde es bei der Frage der Börsen-Zeitung hinsichtlich der Erwartungen der Wertentwicklung im Bestand und den Perspektiven einer eventuellen Wertminderung in 2023. Die Antwort, der Stimme nach nicht von Buch, lautete: „Was die Wertentwicklungsseite anbelangt, da werden wir berichten, wenn wir das Portfolio das nächste Mal bewerten. … Ich glaube, wir haben auch deutlich gesagt, dass der Transaktionsmarkt derzeit schwierig ist … und damit ist eine realistische Einschätzung einer …“ (?). Und genau da versagte meine Technik. Die Übertragung brach ab. Mein Diktiergerät nahm danach nur noch meine Umgebung und meine Versuche, mich wieder einzuwählen, auf. Bei meinem „glücklichen Händchen“ für technische Problemstellungen, infizierte mein PC auch mein iPad und mein iPhone, so dass ich bei meinen Einwahlversuchen immer nur an der Oberfläche der Dateneingabe hängenblieb. Das war wohl ungeschickt von mir oder ist dem geschuldet, dass bis dahin die PK zu Ende war oder in der fortgeschrittenen Zeit eben niemand mehr für „Neuankömmlinge“ in Bereitschaft war. Jedenfalls konnte eine auf die Börsen-Zeitungs-Frage logische Nachfrage nach der Mietrendite oder nach Multiplikatoren, die mit der „29,2-fache für Deutschland“ hätte beantwortet werden müssen, nicht mehr gestellt werden. Außer mir waren wohl auch mehr Aktienspezialisten als Immobilienspezialisten anwesend. Denn:

Die Zufälle gehen weiter. Die Präsentation der Geschäftszahlen fand am Freitag, den 17.3. um 09.30h statt, als die überwiegende Mehrheit der Immobilien-Fachjournalisten, die das Know how gehabt hätten, sich mit Bewertungsfragen näher auseinanderzusetzen, auf dem Heimweg von der Mipim waren. Die Terminwahl war auch schon auf der Mipim Gesprächsthema unter Journalisten.

Ich sah meine technische Dämlichkeit auch nicht für mich als Problem an, da ja alles im Internet stehen müsste. Das Problem hatten eher die Kollegen, die sofort schreiben mussten. Für eine schnelle Bewertungs-Recherche gab wie oben erwähnt die deutsche Präsentation nicht genug her, ebensowenig wie die ins Internet gestellten „Finanziellen Kennzahlen“ und „Nichtfinanziellen Kennzahlen“ des Geschäftsberichtes 2022.

Die Vonovia-Kommunikationsstrategie hatte, wie Sie in den letzten beiden Wochen überall lesen konnten, bis jetzt Erfolg. Eine entsprechende Berichterstattung ist auch logisch, da kein Journalist Zeit hat, zwischen Zahlenpräsentation und aktueller Berichterstattung knapp 300 Seiten Geschäftsbericht zu lesen. Börsenzeitung, Handelsblatt und FAZ berichteten, wenn auch meist mit dem Unterton eines schwierigen Marktumfeldes, weitgehend im Sinne der deutschen Präsentation: Operatives Geschäft gut, wirtschaftlich stabil, Miete gut, Vollvermietung, Mieter zufrieden, energetische Sanierung fortschreitend, hohe Rating-Kreditwürdigkeit, Schulden langfristig mit durchschnittlich 1,5% Zinsen finanziert, Nettovermögenswert nach Schulden mit 46 Mrd. Euro ca. 6% unter Jahresende 2021 und stabiler Ausblick, da Wohnungsnachfrage steigt, Wertzuwachs im 1HJ, aber veränderte Rahmenbedingungen und schwieriges Umfeld, daher verantwortungsbewußte Dividendenkürzung im Sinne der Kapitaldisziplin, Abschreibung im 2HJ, Bewertungen auf Vorjahresniveau durch prominente Bewerter (CBRE, JLL, Savills) bestätigt. Das ist auch alles sicherlich richtig und korrekt.

Schade also, dass die einfache Frage nicht gestellt und beantwortet werden konnte. Also bat ich meine international erfahrene Kollegin, sich einmal die englische Präsentation anzuschauen und bat einen Berater den wir seit 30 Jahren kennen und der als einer der ganz wenigen Berater über noch mehr zyklenübergreifende Bewertungserfahrungen verfügt als ich, um seine Einschätzung. Meine Kollegin fand dann in der englischen Präsentation den klaren Hinweis: „Standing portfolio now valued at 28.1x in-place rent equaling 3.6% gross yield“ und die dazu gehörige Multiplikatoren-Tabelle (siehe oben). Dieser Hinweis und die Tabelle war aber in der deutschen Variante für die unter Zeitdruck stehenden berichtenden Kollegen in der korrespondierenden deutschen Bewertungsseite NICHT vorhanden.

 Meine Nachfragen bei Kollegen und Unternehmern ergaben, dass es auch bei anderen internationalen Konzernen für angelsächsische Journalisten, die sehr genau nachfragen würden, detaillierte Präsentationen gäbe, während für die deutschen Journalisten meist nur eine weniger detaillierte Präsentation mit eher geläufigeren Fragen gemacht würde. Wir nennen das intern seither die deutsche „Deppen-Variante“. Kollegen ergänzten, es sei eher üblich, nur eine einzige englische Präsentation zu machen, die für alle gelte. Pressenotizen oder PK-Präsentationen könnten davon abweichen, da sie ja andere Zielgruppen ansprächen. Insofern ist das sicherlich alles korrekt gelaufen, auch wenn ich und vielleicht auch die Kollegen der prominenten Medien sich nicht unbedingt der Publikumszielgruppe zugehörig fühlen. Und die Praxis der Berichterstattung gab Vonovia ja recht.

Bewertung im Spannungsfeld

Meine Frage aus dem letzten Editorial, wer denn die Immobilien „echt bewertet“, ist beantwortet. „Das Wohnimmobilienportfolio von Vonovia wurde zusätzlich zur internen Bewertung auch durch die unabhängigen Gutachter CBRE GmbH, Jones Lang LaSalle SE und Savills Sweden AB bewertet. Der aus den externen Gutachten resultierende Marktwert liegt auf dem Niveau des internen Bewertungsergebnisses.“ (Geschäftsbericht S. 111)

Das sind renommierte internationale Berater, die meiner Erinnerung nach in der Folge der Finanzkrise auf ihre hohen Standards bei der Beurteilung damals vorübergehend nur schwer handelbarer Immobilien verwies. Wo kein Markt ist, ist kein Wert, war damals eine Art internationales Leitmotiv. Das unterschied sich immer von deutschen Bewertungsstandards, die mehr auf Nachhaltigkeit von Änderungen und Kontinuität abstellten. Heute gilt wohl „Bewerten heißt Vergleichen.“ (Immobilien Zeitung 11/23) Wo kein Markt ist, braucht man anscheinend nichts zu tun. O-Ton (IZ/ENA Experts): „Solange die Zahl der Transaktionen klein bleibt, haben die Bewerter keinen Anlass, den Wert der Immobilien stärker nach unten zu korrigieren. Das heißt aber nicht, dass kein Rückschlagspotenzial besteht.“ Das könnte heißen, dass sich der Bewerter lediglich an die Empirie hält und finanzmathematische Zusammenhänge außer Acht lassen kann. „Vergleichen“ könnte man übrigens auch mit Vergangenheits-Portfoliodeals vergleichbarer Zins-Zeiten. „Bewerten heißt Vergleichen“, ist aber ein alter Grundsatz. Insofern ist hier vielleicht nicht alles marktaktuell, aber formal korrekt.

Was wissen wir über das Portfolio aus unserem Archiv?

Vonovia und Gutachter bewerten aktuell das deutsche Portfolio mit der 29,2-fachen Ist-Jahresmiete. Das Portfolio besteht trotz anerkannt herausragender Bemühungen um die energetische Sanierung aus 15,5% Gebäuden der schlechtesten Energieklassen F, G und H (vgl. deutsche Präsentation). Das ist allerdings weit besser als der deutsche Durchschnitt.

Ursprung der Vonovia war das aus den Medien bekannte Dt. Annington Portfolio, das ursprünglich aus 64.000 Eisenbahner-Wohnungen, die eher nicht dem Luxussegment zuzurechnen sind und nicht für Topzustand bekannt wurden, bestand. Auch die weiteren Zukäufe weiterer Eisenbahner-Wohnungen, der BIG Heimbau, genossenschaftlicher Wohnungen oder Allianz-Wohnungen waren eher nutzerorientiert. 2005 wurden rd. 152.000 Viterra-/E.ON Konzernwohnungen erworben. Über Deutsche Wohnen landete auch das GSW-Portfolio, das 2004 von Cerberus/Goldman Sachs gekauft worden war, bei Vonovia. Zuvor war die Gagfah, die durch den Erwerb der WOBA Dresden mit fast 50.000 Wohnungen bekannt geworden war, übernommen worden.

Den Viterra-Deal habe ich 2006 unter dem Aspekt der für uns damals schwierigen Denkstrukturen internationaler Private Equity Gesellschaften in einem Buchbeitrag für die Professoren Rebitzer und Rottke analysiert. So fragten wir uns z. B. damals, wieso ein Portfolio höhere Preise erzielen sollte als die Summe der Einzelwerte. Das lag an der Honorierung für die Zusammenstellung von Portfolios, um möglichst schnell große Summen investieren zu können. Wir fragen uns heute, ob bei offenkundigen Bewertungsunterschieden zwischen Börse und Bewertern und fehlenden Gegenwarts-Deals ein Blick in vergleichbare Vergangenheitssituationen sinnvoll sein könnte. Auf unsere regelmäßige Frage, was heutige Wohnungsinvestments von den Verkaufswellen nach der Jahrtausendwende mangels Rechenbarkeit unterscheide, erhielten wir bis Anfang 2022 immer die Antwort „die Zinssituation“. Das ist jetzt aber Geschichte. Die heutigen Zinsen stellen Geschäftsmodelle auf die Probe. Bei durchaus vergleichbarer Zinssituation von rund 5% im Jahr 2005 recherchierten wir den Viterra-Einkauf als 7%er bzw. ca. 14-fache Jahresmiete.

Eine im Februar 2006 erschienene Studie von Morgan Stanley ermittelt für die Deals des damaligen Hypes der PE-Investoren und der Verkäufe vieler Firmen- und Kommunal-Bestände einen Kaufpreis zwischen der 11- und max. 18-fachen Jahresmiete bzw. qm-Werte zwischen 500 und 960 Euro (siehe damalige Originalcharts). In das Vonovia-Portfolio gingen daraus GSW, Gagfah und Viterra ein. Bei damals mit heute fast vergleichbarer Zinssituation gingen diese Portfolien lt. Morgan Stanley mit folgenden Werten über die Theke: 2004 GSW mit ca. 11-facher Jahresmiete und gut 500 Euro pro qm, 2004 Gagfah mit 13-facher und 720 Euro pro qm und Viterra mit 14-facher Jahresmiete bzw. 790 Euro. Wir erinnern uns auch vor 10 Jahren noch an Portfolio-Werte zwischen der 11- und 16-fachen Jahresmiete.

Wir haben gleichfalls einmal einen Berater gefragt, den wir seit 30 Jahren kennen, und der als einer der ganz wenigen Berater über noch mehr zyklenübergreifende Bewertungserfahrungen verfügt als wir. Er kommt zu dem Schluss, dass für das deutsche Portfolio unter Berücksichtigung der Standorte, Lage, Zustände, Alter und Mieterstruktur der Bestände vermutlich nur Vervielfacher zwischen 18-22 zu rechtfertigen seien. Aus der komplexen Berater-Berechnung ergibt sich ein zukünftiges Bewertungspotential von minus 31%. Das korrespondiert durchaus mit der Börsenbewertung, die in den letzten 18 Monaten um über 70% nachgab. Über frühere Background-Gespräche mit Maklern, die eine Bewertung zu den damals angenommenen Werten von 26-fach bis 28-fach für „illusorisch“ hielten, berichteten wir Ihnen bereits.

„Der Immobilienbrief“-Fazit:

Egal, welche Erfahrungen „Der Immobilienbrief“ heranzieht, scheint uns die durchschnittliche Bewertung mit der 29,2-fachen Jahresmiete sehr hoch. Kosten- und Politik-Risiken könnten den Berlin-Anteil gefährden. Kosten-Risiken der neuen Europäischen Beschlüsse könnten dazu kommen. Die Mieter werden sich wahrscheinlich im laufenden Jahr mit einer Verdoppelung der Energiekosten konfrontiert sehen. All das könnte sich in einer nachlaufenden Bewertung oberhalb aktueller Marktinformationen niederschlagen. Mangels Vergleichs-Deals könnte das aber vertretbar sein.

Während die Börse den Vonovia-Wert in 18 Monaten bereits um 48 Mrd. Euro, sprich „achtundvierzigtausend Millionen Euro“ herabstufte, bleibt Vonovia bei einer fast unveränderten Bewertung bzw. in Summe sogar bei einer Höherbewertung des Verkehrswertes des Immobilienbestandes durch die 2021er Zahlen. Bei Vorliegen von echten Deals könnte die aktuelle bilanzielle Portfolio-Bewertung in den kommenden Jahren um weitere 10 Mrd. Euro, entsprechend der Hochbewertung der letzten Jahre, wahrscheinlich aber um mathematisch logische 20 bis 30 Mrd. Euro Korrekturpotential aufweisen. Das hängt jedoch stark von der Zinsentwicklung ab, die uns eines Besseren belehren könnte. Das ist immer noch optimistischer als die Börse, die Vonovia schon mit 48 Mrd. Euro abstrafte. Welche Bedeutung mögliche Bewertungsänderungen für die Berechnung des LTV haben würde, der aktuell bei 45,1% bezogen auf den Verkehrswert von 94,7 Milliarden Euro liegt, können Sie besser selber ausrechnen. Risiken aus eventuellen Covenants-Brüchen bei sich anpassendem LTV sind dabei nicht berücksichtigt.

Sehr geehrte Damen und Herren, eigentlich ließe sich eine mögliche spürbarere Abwertung mit dem aktuellen Umfeld aus Inflation, Krieg, Energiekrise und Zinsexplosion durchaus plausibel erklären. Welche Schlüsse für die Gesamtbranche Medien aus Zukunftsunsicherheiten ziehen werden, ist unsicher. Jedoch neigen Medien zu negativer Interpretation. Bad news are good news. Allerdings, um das noch einmal klar zu sagen, ist Vonovia ein stabiles Unternehmen mit solidem operativen Geschäftsmodell und der Möglichkeit, sich über Verkäufe Liquidität zu beschaffen. Außerdem ist Vonovia „systemrelevant“. In Kürze dürften Opportunisten und PE-Fonds auch einen Einstieg wittern. Ob diese Stabilität auch für die gesamte Branche zutrifft, ist aber nicht sicher. Insofern geht uns das alle an. Aber, wie ich im letzten Editorial herausarbeitete, ist die Bewertung dem operativen Geschäft im Prinzip schnuppe. Investoren und Heuschrecken kommen und gehen. Die Immobilien bleiben.